Macht ist wie eine Wolke: sichtbar und doch nicht fassbar! Und obwohl sie oft abgelehnt wird, ist sie allgegenwärtig: dunkel und hell, zwischen Einzelnen und in Gruppen, in sozialen Bezügen von Familie, Schule, Sport, Arbeit, Politik.
Und auch bei der Übernahme einer neuen Führungsposition gehört die Machtfrage dazu!
Wer eine Führungsposition übernimmt, überlegt sich: Habe ich Macht auf dieser Position? Wie groß ist sie und wodurch legitimiert? Und: Wie will ich Macht ausüben? Wie will ich führen? Welche Alternativen habe ich zu einer Führung, die durch Macht geprägt ist?
Wer als Führungskraft eine Führungsposition in einem hierarchisch organisierten Unternehmen übernimmt, sollte sich deshalb frühzeitig mit Macht und der Einflussnahme durch Führung auseinandersetzen. Wem der Zusammenhang nicht bewusst ist, löst Wirkungen in seiner Umgebung aus, die unter Umständen nicht beabsichtigt waren und schwierig wieder ins Lot zu bringen sind.
Macht durch Hierarchie und Führung
Mit Sicherheit ist die hierarchische Struktur eines Unternehmens die Grundlage von Macht – dazu zählen aber auch Expertenwissen, Informationen, Ressourcen und Entscheidungshoheit.
In der Regel ist die hierarchische Stellung verbunden mit bestimmten Rechten und mit organisatorisch und vertraglich legitimierter Autorität zur Einflussnahme gegenüber den Mitarbeitenden.
Wir alle kennen allerdings viele Beispiele, wie sich diese Positions- und Handlungsmacht vom Top Management bis zum einfachen Teamleiter in der Personal- und Unternehmensführung negativ ausdrücken kann: ständiger Druck mit starkem Appell, Anweisungen ohne Rücksichtnahme, Entscheidungen gegen Widerstand, Belohnungen oder Sanktionen aussprechen etc.
Nebst den Machtmechanismen durch die Struktur prägt auch das persönliche Verhalten der Führungskräfte die Art, wie Einflussnahme ausgeübt wird. Auch hier kennen wir leider zur Genüge viele schlechte Beispiele. Oft handelt es sich um bestimmte Gruppierungen oder einzelne Mitarbeiter, welche aufgrund eines individuellen oder strukturellen Rasters in “Ungnade” fallen und bei denen deutlich gezeigt wird, wer der Mächtigere ist. Betroffene sind häufig: sogenannte Low-Performer, Praktikanten oder Azubis, ältere Menschen, das andere Geschlecht, eine bestimmte soziale Schicht oder Menschen ethnischer Minderheiten. Um die Dominanz deutlich zu machen, werden besondere Maßnahmen eingesetzt: Statussymbole, Sprache und Auftreten, Mobbing, Ungleichbehandlungen, Einziehen einer gläsernen Decke oder extrem autoritärer Führungsstil.
Auch wenn Macht asymmetrisch von oben nach unten verlaufen mag, sind Machtbeziehungen wechselseitig und dynamisch. Verhältnisse, die einen Machtkampf beinhalten, bieten unter Umständen allen beteiligten Akteuren Genugtuung, auch wenn der Austausch nicht fair ist. Ein in der Hierarchie Untergeordneter zieht möglicherweise ebenfalls seine Vorteile durch die Aufrechterhaltung einer Machtbeziehung: seine untergeordnete Position im Arbeitsprozess kann zum Beispiel eine machtvolle Schnittstelle darstellen, wenn wichtige Arbeitsschritte von ihm abhängen und er keine Konsequenzen für seinen offenen oder leisen Widerstand zu befürchten hat.
Machtspiele und die Herausforderungen auf einer neuen Führungsposition
Die ersten 100 Tage einer Führungskraft auf einer hierarchischen Position sind ebenfalls geeignet für dynamische Machtspiele in alle Richtungen – von unten nach oben, von oben nach unten oder seitwärts.
Die Ausgangslage: Es findet ein Führungswechsel statt. Der Vorgänger geht, die neue Führungskraft ist intern ausgewählt worden.
Mit der Bekanntgabe des Führungswechsels und mit der Übernahme des neuen Verantwortungsbereichs beginnt eine Zone der Ungewissheit, wie sie der Soziologe Stefan Kühl definiert – sozusagen eine Phase der Desorientierung für alle Beteiligten: für die neue Führungskraft selbst, für die Kollegen, für den neuen Vorgesetzten, für die Mitarbeitenden.
Das Alte gilt nicht mehr, das Neue ist noch nicht da. Deshalb ist diese Zeit besonders anfällig für Mikropolitik – für Machtspiele im Unternehmen.
Viele Akteure bringen sich schon frühzeitig in Stellung. Das geheime Ziel der Beteiligten lautet: Unsicherheit kontrollieren, eigenen Einfluss ausbauen, den Aufbau von Machtressourcen von anderen behindern. Es geht darum, sich zu behaupten, indem der eigene Einflussrahmen gehalten oder vergrößert wird bzw. den des anderen von Beginn an klein zu halten.
Kaum hat die neue Führungskraft den Stab übernommen, wird sie von den Mitarbeitern genaustens beäugt – am Anfang vielleicht noch etwas zurückhaltend. Aber rasch geht es auch hier zur Sache: Die neue Führungskraft soll zum Beispiel für die Teaminteressen eingespannt werden und sich diese im Gespräch mit dem Vorgesetzten zu ihren eigenen machen.
Auch die neuen Kollegen sind nicht untätig, wenn ein neues Mitglied in ihren Kreis kommt. Vielleicht ist es jemand, der vorher einer ihrer Mitarbeiter war und nun eine Zusammenarbeit auf kollegialer Augenhöhe erwartet.
Hier einige Beispiele machtvoller Taktiken, die von Mitarbeitern, Kollegen oder Vorgesetzten gegenüber der neuen Führungskraft eingesetzt werden:
- Probleme ausklammern, bestimmte Themen tabuisieren
- Koalitionen bilden
- Bedenken hochgespielen
- irritierende Informationen einstreuen
- über andere lästern, seine eigene Leistung beschönigen
- Wissen und Informationen filtern
- über relevante Absichten im Unklaren lassen
- Hinhaltetaktiken bei Entscheidungen usw.
Ein “Minenfeld” breitet sich vor den Füßen der neuen Führungskraft aus und das Fußfassen im neuen Verantwortungsbereich ist wie eine Gratwanderung zwischen explosiven Teilen.
Schnell könnte der Wunsch aufkommen, durch machtvolles Einschreiten und Handeln diese Taktiken zu unterbinden.
Durch Integrität als neue Führungskraft punkten – nicht durch Machtgehabe
Doch wer als neue Führungskraft mit Macht und hierarchischen Autoritätszeichen ausgewiesen ist, ist noch lange nicht als Führung von seinen Stakeholdern akzeptiert!
Nur durch die hierarchische Legitimation alleine erreicht keine neue Führungskraft Respekt, Motivation und Produktivität auf längere Sicht.
Respekt und Akzeptanz zu gewinnen, gehört deshalb zu den vordringlichen Zielen einer neuen Führungskraft im ersten halben Jahr. Gelingt dies nicht, kommt es rasch zum passiven Boykott und aktiven Widerstand, zu Demotivation und Leistungseinbruch.
Dies gelingt nur mit integrem Verhalten und mit fortwährender Selbstreflexion!
Integrität bedeutet, sich durch Werte leiten zu lassen und diesen entsprechend zu handeln.
Tipps für Integrität in den ersten Wochen der Führungsübernahme
Einige Werte, welche bei der Führungsübernahme und in den ersten 100 Tagen präventiv wirken, weil sie zu einer gelingenden Zusammenarbeit beitragen – jenseits von Macht und Einflussnahme: Zugewandtheit, Aufrichtigkeit, Loyalität, Fairness, Verbindlichkeit, Vertrauen.
Aufrichtigkeit:
Hören Sie bei den Kennenlern-Gesprächen nicht nur gut zu, sondern hören Sie richtig hin – zugewandt, neugierig, interessiert. Stellen Sie Fragen! Zeigen Sie Respekt gegenüber anderer Meinung und persönlichen Bedürfnissen. Versuchen Sie, diese zu verstehen. Das bedeutet noch lange nicht, dass Sie diese abweichenden Interessen auch akzeptieren und die Erwartungen erfüllen müssen. Aber Sie sollten die Interessen und Erwartungen unbedingt kennen, damit Sie sich entsprechend verhalten können.
Zugewandtheit:
Fordern Sie in Besprechungen zum konstruktiven Widerspruch auf und machen Sie deutlich, dass alle wichtigen Meinungen zur Entscheidungsbildung angehört werden. Zeigen Sie, dass Gegenmeinungen erwünscht sind und sich nicht alles auf die Macht der Führung konzentriert.
Loayalität:
Vermeiden Sie kritische Äußerungen gegenüber den Mitarbeitern über Ihren neuen Vorgesetzten bzw. die Geschäftsführung. Mitarbeiter würden solche Kritik als illoyal bewerten und die Situation so interpretieren, dass die zukünftige Zusammenarbeit zwischen ihrem Chef und dem Chef-Chef schwierig sein wird. Sie würden diese Signale als große Unsicherheit für ihr Team / Abteilung bewerten und versuchen, an Ihnen vorbei selber Führung zu übernehmen. – Versichern Sie Loyalität gegenüber allen Akteuren!
Verbindlichkeit:
Handeln Sie so, wie Sie es von Ihren Mitarbeitern erwarten. Wenn Sie möchten, dass die Mitarbeiter sich an Absprachen halten, tun Sie es bitte auch! – Versprechen Sie nichts, was Sie nicht einhalten können – keinen Urlaub, keine Fortbildung, keine Veränderung der Aufgabenstellung usw.
Fairness:
Geben Sie allen Mitarbeitenden und Teams eine neue Chance auf eine gute Zusammenarbeit, auch wenn Ihnen Konflikte aus der Vergangenheit bekannt sind. Beobachten Sie die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit, die Talente und Stärken der verschiedenen Mitarbeitenden und fordern Sie sie auf, das Beste zu geben. – Lassen Sie sich nicht einseitig auf die Meinung von Cliquen ein und unterbinden Sie Ausgrenzungen, Lästereien, zynische Bemerkungen, Schuldzuweisungen und Bloßstellungen. Geben Sie stimmige Feedbacks!
Vertrauen:
Machen Sie in Ihrer Antrittsrede Ihre Werte, Ziele und Erwartungen deutlich. Stellen Sie das WIR der Zusammenarbeit in den Fokus. Zeigen Sie sich von Ihrer menschlichen Seite, mit Stärken und Schwächen, und bitten Sie um Vertrauensvorschuss für die kommenden Monate. – Setzen Sie auch danach den Fokus nicht auf Kontrolle sondern auf die Förderung von Vertrauensverhältnissen, zum Beispiel durch das Entwickeln von tragfähigen Beziehungen, konstruktiver Teamarbeit und unterstützendem Betriebsklima.
Selbstreflexion:
Führen Sie ein Tage- oder ein Wochenbuch, in dem Sie Ihre Gedanken und Ihr Führungshandeln beschreiben und reflektieren. Wo liegen Ihre persönliche Stolpersteine? Wo treten Sie mit Macht auf, weil Sie sich unter Umständen unsicher fühlen? Wie können Sie anders reagieren? – Betrachten Sie sich nicht als unfehlbar, sondern lernen Sie aus schwierigen Führungssituationen und tauschen Sie sich – wenn möglich – in einer Gruppe gleichgesinnter Kollegen aus.
Fazit für Ihre Führungsübernahme
- Die formale Macht reicht nicht aus, um Teams und Menschen zu führen. Sie brauchen auf längere Sicht Akzeptanz, die von allen Akteuren getragen wird.
- Verstehen Sie Machtprozesse in Unternehmen als normales Phänomen in sozialen Bezügen. Beobachten Sie die Mikropolitik und handeln Sie achtsam – ohne in Ihre persönlichen Minenfelder zu treten.
- Machen Sie sich als Führungsneuling klar, wie Sie führen wollen: Welche Werte sind für Sie entscheidend? Wann werden Sie selbst zum Machtausüber? Wann zum Machtempfänger?
- Setzen Sie dem Wunsch nach Macht und Autorität integres Verhalten gegenüber! Fördern Sie eine unterstützende Unternehmenskultur!
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