Mein Blogartikel zum Sommer wird sehr persönlich und damit anders als die üblichen Blogbeiträge zum Thema Führung und Management. Haben Sie Zeit und Lust weiterzulesen? Ich schreibe darüber, wie ich den momentanen Trend zur Selbstverwirklichung betrachte, was dieser mit mir (früher) zu tun hat und was mir jetzt wichtig ist.
Mit diesem Beitrag erforsche ich ebenfalls die von Blogger Markus Cerenak aufgeworfene Frage: „Warum? – Warum ich tue, was ich tue“ und nehme an seiner Blog-Bang (=Blogparade) teil.
Ein Heer von Überforderten und Unzufriedenen
Wenn ich auf den Bücher- und Zeitschriftenmarkt, auf Seminar- und Coachingangebote oder ins Internet schaue, scheinen wir ein Heer von Überforderten, von Selbstzweiflern und Unzufriedenen zu sein. Jeden Tag aufs Neue bekommen wir Tipps und Konzepte zur Lebenshilfe, zum Glücklich-Sein bzw. zur Ich-Findung.
Offensichtlich sind wir nicht wir selbst: Wir sind nicht authentisch. Wir schöpfen nicht unser Potenzial aus. Wir haben nicht den richtigen Beruf oder nicht den richtigen Partner. Deshalb wird uns vorgeschlagen, aus dem Hamsterrad auszutreten oder den Druck des persönlichen oder beruflichen Lebens zu minimieren – z.B. mit der Empfehlung, mutig oder mittelmäßig und unperfekt zu sein.
Die Sehnsucht nach einem paradiesischen und vollkommenen Zustand ist groß
Dass die moderne Gesellschaft auf allen Ebenen enorme Forderungen an uns stellt, ist mittlerweile bekannt und gut untersucht. Aufgrund dieser Situation scheint es für Menschen immer schwieriger zu werden, sich auf das, was ist, einzulassen oder sich sogar damit anzufreunden.
Die vielen Heilsversprechungen, die überall kursieren, verheißen ein besseres Leben: Du kannst Dein eigener Herr sein. Du kannst Deines eigenen Glückes Schmied werden! Du musst nur das Leben und die Berufung finden, die zu Dir passen. Dann wirst Du glücklich und zufrieden.
Natürlich ist das etwas überspitzt und vereinfacht von mir formuliert. Trotzdem. Die Botschaft trifft auf fruchtbaren Boden bzw. ausgedörrten Boden, weil die Sehnsucht der Menschen nach Ganz-Sein, nach Sinn, nach Zufriedenheit und Erfüllung groß ist. Und Viele fühlen sich derzeit jenseits dieses Zustandes.
Auch ich war auf der Suche
Was ich heutzutage um mich herum wahrnehme, erinnert mich an die 70er und 80er Jahre, wo ein ähnlicher Trend darin bestand, persönlich und gesellschaftlich stimmiges Leben zu gestalten.
Ich bemerkte bei mir selbst den Wunsch schon in ganz jungen Jahren, den Sinn des Lebens erspüren und die Frage klären zu wollen: „Wer bin ich?“ Damals war es nicht unüblich, sich dafür mit dem Mittel einer klassischen Psychoanalyse zu nähern. Meine Selbstreflexion endete jedoch nicht damit, sondern entwickelte sich weiter in unzähligen Selbsterfahrungsgruppen und Gemeinschaften zur persönlichen Entfaltung. Darüber könnte ich ganze Bücher füllen…
Parallel zu meiner Berufslaufbahn führte ich infolgedessen ein Leben reich an Meditationen, Tai Chi (schon 1980 in China gelernt), achtsamer Körperarbeit und künstlerischem Schaffen (Aquarellmalen, Linoldrucke, Buchbinden).
Im Unterschied zu heute diente dieses Bilanzieren und Ich-Verwirklichen weniger rein dem Selbstzweck und dem persönlichen Fortkommen, sondern schlug sich vielmehr in gesellschaftlichem und politischem Einmischen nieder. Es war selbstverständlich, sich über die Innenschau hinaus auch nach außen zu engagieren, z.B. in Friedensgruppen oder gegen AKWs.
Immer wieder neu beginnen
Auf meinem Weg habe ich mancherlei ausprobiert und etliche Neubeginne gewagt: z.B. bewusst alle Wertgegenstände verschenkt und nur mit einem Minimum an Dingen gelebt. Auch diese Zeit habe ich ausgekostet!
Und immer wieder: “Zelte” abbrechen, auf Reisen aufbrechen (z.B. 1986 Trekking im Mount Everest Gebiet bis auf 5.400m und als Überraschung eine Begegnung mit dem Erstbesteiger Sir Edmund Hillary), Neues ausprobieren (z.B. als „Schreinerin“ in den USA).
Und ich hatte stets viel Glück, da es in meiner Heimat – der Schweiz – bei einer Rückkehr möglich war, problem- und nahtlos eine leitende und gut dotierte Position übernehmen zu können. (Ich stelle mir die Auswirkungen des demografischen Wandels so vor, dass unsere Kinder und Enkel diese Wahlmöglichkeiten wieder erleben werden…)
Fazit meiner bisherigen Wanderschaft
In der Lebensphase, in der ich jetzt bin und nach all den Erfahrungen, die ich gemacht habe, haben sich meine Bedürfnisse und Prioritäten verändert. Vieles von früher ist mir nicht mehr wichtig, anderes hat sich in den Vordergrund geschoben.
Und ich stelle immer wieder fest: Ich bewege mich außerhalb des derzeitigen Mainstreams, weil ich keinem Individualisierungszwang mehr unterliege und keinen Anpassungsdruck verspüre. Ich empfinde mich als ganzheitlich entwickelter Mensch – mit einem klaren Fokus auf meine Werte und Motive und mit einem weitem Blick auf die Menschen und Organisationen, mit denen ich zu tun habe.
- Würde ich heute noch mein bisheriges Leben an den Nagel hängen, weil ich dann und wann unzufrieden bin? Weil ich meine, etwas nicht aushalten zu können? Weil ich irgendwo noch eine bessere Chance wittere?
Nein, dafür muss ich keinen radikalen Schnitt mehr vornehmen, nichts im Außen verändern. Ich schätze Kontinuität, Alltagsroutinen und Gewöhnliches. Allerdings ist mir bewusst, unter Umständen auch diese loslassen zu müssen: „…Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen…“ - Eine weitere wichtige Einsicht: Ich muss nicht meines eigenen Glückes Schmied sein! Ich muss nicht die Bürde der Verantwortung dafür tragen, dass alles von mir abhängt, was gelingt und was nicht gelingt.
Ich gebe – meist – mein Bestes, und gleichzeitig habe ich eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit Enttäuschungen entwickelt. Nicht alles, was ich mir erhofft und erwünscht habe, ist mir geglückt. Aber ich blicke auf viele geglückte Stunden und Tage. Wichtig ist, dass ich das wertschätze, was ich im Hier und Jetzt tue.
- Mich zu verwirklichen, bringt keine Motivation mehr. Die äußere Tätigkeit hat nicht mehr diese Bedeutung wie früher; jedoch die Haltung zu meiner Arbeit ist wesentlich. Die wirkliche Erfüllung erlebe ich darin, zur größeren Selbstwirksamkeit anderer Menschen beizutragen. Dazu passt es auch, Verantwortung zu übernehmen für Menschen, deren Gestaltungsspielraum aus verschiedenen Gründen eingeschränkt ist.
Mein Weg ist bunt und doch fokussiert auf Gerechtigkeit und Fairness
Ich erinnere mich gut, wie es mir schon als Kind und Jugendliche ein Bedürfnis war, für Gerechtigkeit und Fairness zu sorgen. Ich habe es jeweils auf die mir entsprechende Weise getan, und dieser Lebenssinn zieht sich wie ein roter Faden bis heute fort.
- Heute zeigt sich dies in meinem Business darin, für Fairness in der Führung einzutreten – in meiner beratenden und coachenden Tätigkeit von Führungskräften und Unternehmen.
- Gesellschaftlich drückt sich dies in meinem Ehrenamt bei der Christoffel Blindenmission – CBM aus: Das Bewusstsein für die Situationen von Menschen mit Behinderungen in den Armutsregionen zu schärfen und die Welt ein Stück weit gerechter zu gestalten.
Ich schätze diese Wirkungskreise sehr, weil sie mein WARUM des Lebens ausdrücken und mein Handeln mit Sinn erfüllen.
Ihnen allen wünsche ich einen wunderbaren Sommer – mit viel Zeit für Wesentliches und vielen sinnerfüllten Momenten!
Herzlich
Ihre Barbara Simonsen
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