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Wie schon in den vergangenen Jahren fällt mein erster Blogartikel des neuen Jahres immer unter die Katergorie “Persönliches” und gibt damit Einblicke in meine Wertevorstellungen und Erkenntnisse.

Einige von Ihnen wissen, dass ich im vergangenen Jahr mehrere Todesfälle in meinem Umfeld zu beklagen hatte. Der erste jährt sich bald: Es ist der Tod einer gleichaltrigen Cousine meines Mannes; später im Frühjahr sind auch meine Schwiegermutter und eine Freundin gestorben.

©Jimmy Tran / Shutterstock.com

©Jimmy Tran / Shutterstock.com

Der Sterbeprozess von allen drei Menschen hat mich sehr berührt und beschäftigt.
Alle drei wussten irgendwann von der Begrenzung ihres Lebens. Wir aus der Familie oder aus dem Freundeskreis wurden sozusagen darauf vorbereitet. Doch das Sterben im wirklichen Leben mitzuerleben und nicht nur in Gedanken vorwegzunehmen, benötigte viel Energiearbeit.

Am stärksten war ich beim Sterben meiner Schwiegermutter eingebunden.
Als Großfamilie hatten wir etliche Monate vor dem Tod damit begonnen, bewusst Abschied zu nehmen – in unterschiedlichen Ausprägungen und Formen: ein letztes Mal gemeinsam in Urlaub fahren oder Rückblick halten durch Erzählungen oder so was Profanes wie Dokumente regeln.

Während der allerletzten Wochen wechselten meine Schwägerin, mein Mann und ich uns ab bei der Betreuung im Hause der immer schwächer werdenden Schwiegermutter. Die allerletzte Woche – ohne im Voraus wirklich zu wissen, dass es die letzte Lebenswoche sein würde – waren wir drei rund um die Uhr bei und mit ihr zusammen. Wir durften sie bis zu ihrem letzten Atemzug und über die Momente des Todes hinaus begleiten – singend, musizierend, betend, weinend.

Es lässt sich schwer beschreiben, was wir emotional erlebten.
Viel Dankbarkeit war dabei und natürlich auch immense Trauer. Bis heute denke ich jeden Tag an diese Momente des letzten Abschiednehmens. Und immer wieder frage ich mich: Habe ich alles Nötige getan? Warum habe ich dieses oder jenes nicht mehr gemacht?
In der Zwischenzeit habe ich Frieden geschlossen mit der letzten Sterbephase – auch wenn ich meiner Schwiegermutter einiges nicht mehr sagen konnte, was mir wichtig gewesen wäre. Aber ich bin mir gewiss: Das Allerwichtigste war, dass wir drei in den letzten Tagen rund um die Uhr bei ihr waren und sie zuhause in ihrer vertrauten Umgebung aus dem Leben gehen konnte. Ihre Dankbarkeit dafür ließ sie uns in ihren letzten Lebenstagen immer wieder spüren.

„Alles ist gut so, wie es ist.“, war ihr Spruch bald nach Kenntnis ihrer tödlich verlaufenden Erkrankung, etwa ein Jahr vor dem ihrem Versterben. Für uns war es sehr bewundernswert zu beobachten, mit welcher Akzeptanz sie ihr unabänderliches Schicksal angenommen hat.

Rückblickend frage ich mich immer wieder: Was hat es ihr leicht gemacht, JA zum Weg zu sagen, der vor ihr lag. Wie konnte sie die letzte Wegstrecke mit dem Wissen des unausweichlichen Todes gut leben?
Von Leichtigkeit zu sprechen, wäre nicht richtig, aber es war ein Grundvertrauen zu beobachten, durch das sie sich aufgehoben fühlte: Durch ihren christlichen Glauben war sie sich gewiss, nicht tiefer als in die Hände Gottes zu fallen.

Sie gehörte einer Generation an, bei der nicht die Selbstverwirklichung im Zentrum ihres Lebens stand. Sie hat in ihrem Leben nicht das gemacht, was man als Erfüllung ihrer Träume bezeichnen würde. Aber sie nahm die Herausforderungen an, vor denen sie jeweils stand und akzeptierte die gestellten Aufgaben. Vor allem setzte sie sich für das Wohl der anderen ein: für Kranke, Alte, Bedürftige, Flüchtlinge und Ungerecht-Behandelte. Vielen Menschen stand sie mit ihrer praktischen Hilfe zur Seite, wenn es nötig war. Und vor allem hatte sie eine besondere Gabe: Sie konnte wunderbare Briefe schreiben, die den Menschen Trost und Hoffnung gaben.

Sie war keine VIP an ihrem Ort und doch so bekannt, dass bei der Beerdigung mehrere hundert Menschen teilnahmen und ihre Ergriffenheit zeigten. Bis heute stehen wir in Kontakt mit Menschen, die sie sehr vermissen und immer noch um sie trauern. Wir erhalten Briefe von diesen Menschen, in denen sie ihre Begegnungen und Erlebnisse mit meiner Schwiegermutter schildern. Oft fließen uns beim Lesen die Tränen.

Meine Schwiegermutter suchte nicht das Glück. Glücklich oder erfolgreich zu sein, waren keine Lebenskriterien. Gezählt hat etwas anderes: Für andere da zu sein und die Menschen zu stärken. In diesem Sinne betrachtete sie ihr Leben als Reichtum. Und wie wir feststellen, hinterließ sie deutliche Spuren auf ihrem Lebensweg.

Was habe ich für Einsichten gewonnen?
Durch all meine Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Sterben meine ich, das Wichtigste im Hinblick auf das Ende des Lebens sei nicht, WAS ich in meinem Leben mache, was ich erreiche und ob ich erfolgreich sei, sondern WIE ich das Leben lebe. Das Wichtigste ist, dass ich die an mich gestellten Herausforderungen als Aufgaben erkenne und sie mit Hingabe erfülle.
Und was ebenfalls von Bedeutung ist für die letzte Lebensphase, ist die Art und Weise, wie ich zurückschaue und wie ich das gelebte Leben akzeptiere und dankbar dafür bin.

Dies ist auch der Kerngedanke von Verena Kast, Psychotherapeutin und Professorin in Zürich. In ihrem Buch „Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben“ plädiert sie für einen intensiven Lebensrückblick, um das gelebte Leben besser zu verstehen. Sich bewusst mit seiner Lebensgeschichte zu beschäftigen und anzuschauen, was gelungen ist und was gebrochen ist, bringt Versöhnung und lässt das Leben sinnhaft werden.
Kast sagt auch, nicht die Angst vor dem Tod sei das wichtigste Thema beim Lebensrückblick, sondern der Wunsch, das gelebte Leben würdigen zu können. Dadurch wird das Leben nochmals kostbarer und vor allem: Es kommt in Fluss.

Das Leben in Fluss zu bringen, ist auch das Anliegen von Ulrike Scheuermann, einer Berliner Kollegin und Psychologin. Ich kenne sie persönlich durch ein Schreibseminar für Sachautoren. Besonders empfehlenswert sind jedoch ihr Buch und ihre Seminare zum Thema „Wenn morgen mein letzter Tag wär“. Sie schafft eine Atmosphäre, in der es möglich wird, sich auf das Wesentliche des Lebens zu konzentrieren und existenzielle Themen wohlwollend zu betrachten. (siehe auch Literaturhinweis unten)

Rückblickend auf das vergangene Jahr, das persönlich viel von mir verlangte, kann ich sagen: Ich bin sehr dankbar für die Erfahrungen, die ich machen durfte. Und was meine Schwiegermutter anbelangt: Sie bleibt auch im neuen Jahr in meinem Herzen und ist mir ein Vorbild für mein Engagement für andere Menschen. Das ist wesentlich für mein Leben!
 
Literaturhinweise:

  • Kast, V. (2014), Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks, Herder Verlag
  • Scheuermann, U. (2013), Wenn morgen mein letzter Tag wär: So finden Sie heraus, was im Leben wirklich zählt, Knaur Verlag
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